Flagge von Rußland

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(c) 1992 Oliver Bonten

Bolschoija i Malyi

Puschkinplatz
Moskau, 1992: Der
	Kapitalismus hält Einzug

Erik, Lars, Christian und ich sind mit Andrej zunächst per Metro zum Puschkinplatz gefahren. Ich habe die Karte nicht mehr so genau in Erinnerung, aber ich glaube, er liegt an der Kreuzung vom Bulwar Noje Koltso mit der Uliza Gorkogo. Jedenfalls steht dort eine große Puschkin-Statue vor dem Kino Rossija, einem der größten Moskauer Kinos. Auf der anderen Straßenseite ist McDonalds. Die Uliza Gorkogo (Gorkij-Straße) ist eine der Einkaufsstraßen Moskaus, sofern es so etwas gibt. Dort gibt es viele kleine Läden, die vor allem westliche Waren verkaufen, nicht wenige davon nur gegen Devisen (obwohl der Löwenanteil der Devisen-Läden angeblich auf dem Kalininprospekt sein soll). Außerdem gibt es dort einen Pizza-Hut, der zwei Eingänge zu benachbarten Straßen hat. Durch einen Eingang kommt man zur Devisenseite, durch den anderen zur Rubelseite. Andrej glaubte, die Devisenseite sei auf der Uliza Gorkogo, aber als er die Länge der Schlange sah, bemerkte er, daß er sich geirrt hatte. Westliche Waren bekommt man in Moskau übrigens gegen Rubel zu Preisen, die, wenn man den offiziellen Wechselkurs zugrundelegt, sehr genau unseren Preisen entsprechen. Manchmal sind sie auch billiger, das scheint dann der Fall zu sein, wenn sie in Rußland hergestellt werden. Eine Statue von Jurij Dolgorukij, dem Gründer Moskaus, steht auch dort, außerdem die beiden Theater, das große und das kleine Theater. Das große Theater ist unter seinem russischen Namen weltberühmt: Bolschoij Teatr (und das kleine ist eben das Malyi Teatr). Wo wir gerade dabei sind: "Bolschoja Spasibo" sollte man sich für seinen nächsten Rußlandbesuch merken, das heißt "vielen Dank". Auf dem großen Theater ist angeblich eine Statue von Jurij Dolgorukij als Lenker einer Trojka (für die, die da arm an Bildung sind: ein Wagen mit drei Pferden), aber gerade dieser Teil des Theaters war eingerüstet zur Restaurierung, wie überhaupt vieles in Moskau eingerüstet zur Renovierung (Remont) war, man hatte den Eindruck, die Trojka sei heimlich an einen Sammler verkauft worden und das Gerüst soll dies nur noch eine zeitlang verschleiern. Daß wir Deutschen mit mehr PS fahren als die Russen merkte man spätestens hier: der Wagen auf dem Brandenburger Tor hat vier Pferde. Ironie OFF. Die Uliza Gorkogo führte wieder auf den roten Platz nahe beim Platz der Revolution. Das Zentrum von Moskau ist annähernd kreisförmig um den Kreml angeordnet, die Prospekte, Schossen und andere Hauptstraßen wie die Uliza Gorkogo (um beim Thema zu bleiben) führen strahlenförmig darauf zu, während der Ring der Bulwars kreisförmig den Stadtkern umschließt. Wir wären gerne in den Kreml gegangen, aber der schließt um fünf, und fünf war schon vorbei. Lars und Erik wollten dann ins GUM gehen, das ist das Gebäude an einer der Längsseiten des roten Platzes. Wer es noch nicht weiß: das GUM ist das größte Kaufhaus in Moskau, und früher muß es wirklich einmalig gewesen sein, aber heute kann das Angebot nicht mehr gegen die vielen Straßenhändler und die vielen neuen, privaten Läden mithalten. Das GUM besteht aus drei langgestreckten Ladenstraßen mit jeweils drei Stockwerke, und wenn jedes Ladenlokal vermietet wäre, und jeder Laden noch etwas anderes verkaufen würde, dann wäre das wirklich ein interessanter Ort. Die Ladenstraßen waren mit Glaskuppeln überdacht, und in der Mitte stand ein Brunnen. Es roch muffig in dem Gebäude. Gleich hinter der Tür, durch die wir das Gebäude betraten, gab es viele Andenkenläden. Lars und Erik hatten offenbar Geheimaufträge von ihren Freundinnen bekommen, jedenfalls begannen sie sich auffällig für Matrioschkas zu interessieren. Die gab es in der Preisklasse ab 100 Rubel für eine kleine mit vielleicht drei Püppchen bis hin zu den großen mit sieben oder acht Teilen in der 500-Rubel-Preisklasse. Einkaufen in Rußland, zumindest in den staatlichen Läden, ist nicht ganz einfach. Zunächst wurde mit Hilfe einer Verkäuferin ausgesucht, was man haben wollte. Dann addierte diese den Preis und man wurde zur Kasse geschickt, wo man diesen Preis bei der Kassiererin bezahlte. Mit dem Kassenbon ging man dann zur ersten Verkäuferin zurück und erhielt seine Sachen. Das ganze ging natürlich nicht ohne jeweils zu warten, bis man dran war. Eine Prozedur, der man sich nicht gerne unterzieht. Im Matrioschkafachhandel wurden wir außerdem von Kindern belagert, die uns sowjetische Abzeichen billig verkaufen wollten. Daran hatten wir aber kein Interesse. Bei der Debatte darüber befanden sich die Hände der Kinder vorübergehend in meinen Jackentaschen, aber in weiser Voraussicht hatte ich nichts wertvolles darin gelassen. Bonbons vielleicht, das weiß ich nicht mehr, die haben dann gefunden, wo sie hingehören. Hätte ich doch eine Mausefalle in der Tasche gehabt! Es sei jedem Moskautouristen tunlichst angeraten, nichts wichtiges in Außentaschen unterzubringen! Im zweiten Stock gab es Schmuckläden, in denen Lars einige Preziosen und Gehänge für seine Daheimgebliebene billig erwerben konnte - ein Lederband mit einem mittelgroßen Bernstein daran kostete stolze 100 Rubel, etwa DM 1,50, und für eine Kette mit irgendwelchen grünen Steinen ("Snakestone") mußte er gar 300 Rubel hinlegen. Übrigens gab es eine offizielle Bank im GUM, der Wechselkurs lag bei 68,75 Rubel für eine Mark. Meistens hat aber Andrej für uns bezahlt und wir ihn später zu einem sehr günstigen Kurs in Mark entschädigt. Das war der einzige Weg, gewissermaßen auszugleichen, was Andrej alles für uns auslegte, Metromarken, Busfahrkarten, hier und da ein Eis oder so etwas, und was er nie zurückhaben wollte. Außerdem hat er mehrere Arbeitstage für uns geopfert - das scheint aber kein Problem für ihn zu sein.

GUM

Es wurde Zeit, daß Andrej bei Olga, Jegors Freundin, anrief, um sich mit Jegor über die Pläne für den Abend zu beraten. Telefonieren von einer Zelle aus kostet zwei Kopeken für ein Ortsgespräch. Das Problem dabei ist, daß die kleinen Ein- und Zweikopekenstücke zu nichts anderem als zum Telefonieren mehr nützlich sind und daher ziemlich selten. Zum Glück hatten wir alle zusammen aber vier Kopeken Kleingeld dabei. Ich verstehe zwar kein russisch, aber der Hauptteil des Telefonats drehte sich offenbar darum, daß Erik immer die Matrioschkas "Babuschkas" nannte. Jedenfalls erklärte uns Andrej nachher, daß wir uns mit Jegor an einer gewissen Stelle treffen würden.

Nach einem kurzen Imbiß sind wir dann schon losgehastet und fast pünktlich am Treffpunkt, dem großen Postamt in der Uliza Gorkogo, angekommen. Das Postamt ist für Auslandsangelegenheiten zuständig: von dort kann man ins Ausland telefonieren (theoretisch jedenfalls), und dort kann man Telegramme aufgeben. Wer nicht da war, war Jegor. Erik nutzte die Zeit, um ein Telegramm nach Hause aufzugeben, das ist zuverlässiger als zu telefonieren: wenn man ein Gespräch nach Deutschland anmeldet, kann es Tage dauern, bis man es bekommt. Dafür ist das Telefonieren dann billig. Jegor kam etwa eine Stunde zu spät, weil unterwegs bei seinem Auto der Keilriemen gerissen war. Er hatte Alexander und seine (Jegors) Freundin Olga mitgebracht, und wir sind dann auf der Suche nach einer Art Kneipe den Kalininprospekt entlanggegangen. Olga ist 18 und bereitet sich gerade auf die Aufnahmeprüfungen der Universität vor, wenn sie nicht gerade mit Jegor ausgeht, und deshalb schienen ihre Eltern auch nicht gerade erfreut über letzteres. Für eine Russin spricht sie sehr gut englisch, weil sie auch außerhalb der Schule Kurse besucht hat. Auf dem Kalininprospekt hatte es allerdings gebrannt (interessant zu sehen war, wie sich die Feuerwehr durch den Verkehr bahnen mußte; Platz für Fahrzeuge mit Blaulicht schien keiner machen zu wollen) und die meisten Cafes, jedenfalls die, zu denen Andrej Vertrauen hatte, schlossen. Wir sind dann den Arbat entlanggegangen, bei einigen von uns stellte sich Hunger ein, und Andrej hat uns dann in ein georgisches Restaurant geführt. Das kostete erst einmal 50 Rubel Eintritt pro Person (vor kurzem seien es noch 50 Kopeken gewesen, meinte Jegor). Das Ambiente war aber sehr nobel, und eine Gruppe Musiker glaubte, gelegentlich jegliche Konversation unmöglich machen zu müssen. Die Küche erinnerte sehr an die Erzeugnisse griechischer/türkischer Restaurants bei uns, nur daß die Portionen, wie es sich für einen Nobelschuppen gehört, klein waren. Aber das Essen war sehr gut, auch wenn es für russische Zungen zu stark gewürzt war. Dazu gab es eine Flasche Kirschwein (mit viel %), eigentlich ein Aperitif. Die Rechnung belief sich auf etwa 2500 Rubel, so genau weiß ich das nicht mehr, also etwa 50 Mark. Kann man sich nicht drüber beklagen, aber manche Moskauer leben von weniger als 1000 Rubeln im Monat, und für die ist das natürlich unerschwinglich geworden.

Auf dem Rückweg mußte Olga ihre Eltern anrufen, damit die sich keine Sorgen machen, aber ihr und Jegor waren die Zweikopekenstücke ausgegangen. Es wurde tatsächlich ein Problem, welche aufzutreiben.

Dann fuhren wir mit der Metro nach Hause, bis auf Jegor, der ja sein Auto noch in der Stadt hatte. Olga mußte mit einer anderen Linie fahren - es wunderte mich ein wenig, daß Jegor uns streng davon abriet, um diese Tageszeit alleine Metro zu fahren, aber seine Freundin per Metro nach Hause schickte. Ihr ist aber nichts passiert.



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Dieser Reisebericht ist im Juni/Juli 1992 im Mausnetz in der Gruppe FERNWEH veröffentlicht worden. Der Text ist unverändert, lediglich die Bilder sind neu hinzugekommen - das Mausnetz hat noch keine Bilder unterstützt. Der Bericht beschreibt Moskau im Jahre 1992. Vieles hat sich inzwischen verändert.

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